Die Rolle europäischer Rüstungskonzerne und Behörden im Jemen-Krieg ist ein Fall für Den Haag

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Den Haag/Sana’a/Berlin, 12. Dezember 2019 – Eurofighter, Tornados, MK80 Bomben – im Jemen-Krieg werden Rüstungsgüter europäischer Unternehmen eingesetzt. Dafür gibt es zahlreiche Belege. Leisten Manager von Rüstungsunternehmen und Beamte von Exportbehörden aus Europa damit potenziell Beihilfe zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) geführte Militärkoalition im Jemen begeht? Das ist die zentrale Frage, der die Anklagebehörde (Office of the Prosecutor, OTP) des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) nachgehen soll. Dazu hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gemeinsam mit Mwatana for Human Rights, Amnesty International, der Campaign Against Arms Trade, Centre d’Estudis per la Pau J.M. Delàs und Rete Disarmo am 11. Dezember 2019 bei der OTP in Den Haag eine richtungsweisende Strafanzeige (Communication) eingereicht.

Die sechs Organisationen fordern die OTP auf, die rechtliche Verantwortung wirtschaftlicher und politischer Akteure aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien zu untersuchen. Die Anzeige konzentriert sich auf folgende Unternehmen: Airbus Defence and Space S.A. (Spanien), Airbus Defence and Space GmbH (Deutschland), BAE Systems Plc. (Großbritannien), Dassault Aviation S.A. (Frankreich), Leonardo S.p.A. (Italien), MBDA UK Ltd. (Großbritannien), MBDA France S.A.S. (Frankreich), Raytheon Systems Ltd. (Großbritannien), Rheinmetall AG (Deutschland) über die Tochterfirma RMW Italia (Italien) sowie Thales (Frankreich).

Es gibt viele Belege für Angriffe der Militärkoalition auf zivile Ziele wie Wohnhäuser, Märkte, Krankenhäuser und Schulen. Dennoch versorg(t)en transnationale Rüstungsunternehmen mit Sitz in Europa die VAE und Saudi-Arabien weiter mit Waffen, Munition und logistischer Unterstützung – mit Genehmigung europäischer Exportkontrollbehörden.

„Die von Saudi-Arabien und den VAE geführte Militärkoalition legt den Jemen in Schutt und Asche – mit Waffen, die Europa und die USA produzieren und exportieren. Die zahllosen zivilen Opfer verdienen eine sorgfältige Untersuchung der Rolle all jener, die sich an diesen Verbrechen möglicherweise mitschuldig gemacht haben. Wir hoffen, dass der Internationale Strafgerichtshof dazu beiträgt, die Verbrechen im Jemen aufzuarbeiten“, sagte Radhya Almutawakel, Vorsitzende der jemenitischen Organisation Mwatana for Human Rights.

„Europäische Unternehmen – und indirekt auch europäische Staaten – profitieren von Waffenexporten an Saudi-Arabien und die Waffen. Diese Waffen aber werden im Jemen eingesetzt – möglicherweise bei Angriffen, die als Kriegsverbrechen zu werten sind“, so Linde Bryk (ECCHR) im Namen der sechs Organisationen. „Das Ziel sind Ermittlungen gegen Manager und Regierungsvertreter, also gegen jene Akteure die sich allzu oft der internationalen Strafjustiz entziehen.“

Die 350-seitige Anzeige, die das ECCHR erarbeitet hat, belegt 26 Luftangriffe der von Saudi-Arabien und den VAE geführten Militärkoalition, die Mwatana for Human Rights vor Ort dokumentiert hat und die Kriegsverbrechen nach dem Römischen Statut gleichkommen.

Staatsanwalt ermittelt gegen Münchener Firmen wegen Verkaufs von Überwachungssoftware an die Türkei

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Berlin, 5. September Ein paar Klicks und die türkische Polizei kann mithören, dank illegal exportierter Überwachungssoftware aus Deutschland: So lautet der Vorwurf der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), von Reporter ohne Grenzen (ROG), des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und von netzpolitik.org. Die Organisationen haben am 5. Juli 2019 gegen mehrere Geschäftsführer der Unternehmen FinFisher GmbH, Finfisher Labs GmbH und Elaman GmbH Strafanzeige erstattet. Das Münchener Firmenkonglomerat soll die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft haben.

Die Staatsanwaltschaft München hat ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht auf Verstoß des Ausenwirtschaftsgesetzes eingeleitet. Dies könnte mit bis zu fünf Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden.

FinFisher GmbH, Finfisher Labs GmbH und Elaman GmbH produzieren und vertreiben gemeinsam Überwachungssoftware wie FinSpy. Erst einmal auf den Handys der Zielpersonen installiert, verleiht FinSpy den Überwachungsorganen wie Polizei und Geheimdiensten absolute Kontrolle. FinSpy tauchte im Sommer 2017 auf einer türkischen Webseite auf, die als Mobilisierungswebseite der türkischen Oppositionsbewegung getarnt war.

„Seit Jahren unterstützt Reporter ohne Grenzen türkische Journalisten durch Nothilfe, für sie hat die staatliche Überwachung ihrer Kommunikation schwerste Folgen“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer bei ROG. „Dass hier deutsche Spionagesoftware von der türkischen Regierung genutzt wurde, um gegen Oppositionelle und Medienschaffende vorzugehen, ist ein Skandal.“

Um Exporte an repressive Regime wie die Türkei zu verhindern, wurden 2015 europaweit Genehmigungspflichten für Exporte von Überwachungssoftware an Länder außerhalb der EU eingeführt. „Verstöße gegen die Exportbestimmungen sind strafbar. Bei deutschen Exporten schaut die Bundesregierung jedoch offensichtlich nicht so genau hin“, so Sarah Lincoln von der GFF. „FinFisher und Elaman betreiben ihre Geschäfte weiter, als wäre nichts gewesen. Dem muss die Justiz endlich Einhalt gebieten und ein Strafverfahren eröffnen.“

Welche Folgen der Einsatz von Überwachungssoftware hat, zeigt die Erfahrung aus Fällen in Syrien und Bahrain: „Auf die digitale Überwachung folgen in repressiven Staaten oft Haft und Folter. Doch die Softwarehersteller weisen jede Verantwortung dafür von sich“, sagt Miriam Saage-Maaß vom ECCHR. „Die aktuelle Rechtslage in Deutschland und Europa macht eine effiziente Strafverfolgung nahezu unmöglich, hier braucht es dringend Gesetzesänderungen.“

Auf parlamentarische Anfragen hin, zuletzt noch am 19. Juni 2019, bestätigte die Bundesregierung, dass sie seit Einführung der Genehmigungspflichten im Januar 2015 keine Exportgenehmigung für Intrusionsoftware wie FinSpy erteilt hat. „IT-Analysen bestätigen, dass es sich bei den in der Türkei im Sommer 2017 gefundenen Softwaresamples um die deutsche Spionagesoftware FinSpy handelt und dass diese FinSpy-Version nach Einführung der Genehmigungspflicht produziert wurde“, sagt Andre Meister von netzpolitik.org. „Dieselbe Software wird auch vom Bundeskriminalamt als Staatstrojaner eingesetzt, damit subventioniert Deutschland eine Firma, die anderswo zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt.“

Der Export von Überwachungssoftware an die türkische Regierung ist angesichts der anhaltenden Repressionen gegen Journalisten und Oppositionelle besonders brisant. Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 wurden mehr als 50.000 Menschen verhaftet; mehr als 140.000 Menschen wurden aus ihren Berufen entfernt, mehr als hundert Zeitungen und andere Medienorgane wurden geschlossen.

Mehr zu dem Fall FinSpy/Türkei finden Sie hier. Einen Überblick zu den ECCHR-Fällen im Zusammenhang mit Überwachungstechnologie finden Sie hier.

 

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) initiiert, koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen. Sie bringt dafür geeignete Klägerinnen mit exzellenten Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zur Finanzierung ihres Einsatzes für die Grundrechte ruft die GFF zu Spenden auf: freiheitsrechte.org/spenden.
Im Internet: info@freiheitsrechte.org / www.freiheitsrechte.org / @freiheitsrechte

Reporter ohne Grenzen: Recherchieren, Anklagen, Unterstützen – Reporter ohne Grenzen dokumentiert Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit und alarmiert die Öffentlichkeit, wenn Journalisten und deren Mitarbeiter in Gefahr sind. Wir setzen uns für mehr Sicherheit und besseren Schutz von Journalisten ein. Wir kämpfen online wie offline gegen Zensur, gegen den Einsatz sowie den Export von Überwachungstechnologie und gegen restriktive Mediengesetze.
Im Internet: www.reporter-ohne-grenzen.de

Dem Unrecht das Recht entgegensetzten – das ist das erklärte Ziel und die tägliche Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), einer weltweit agierenden juristischen Menschenrechtsorganisation. Das ECCHR nutzt juristische Mittel und Wege, damit die Verantwortlichen für Folter, Kriegsverbrechen, sexualisierte Gewalt, wirtschaftlicher Ausbeutung und abgeschotteten Grenzen nicht ungestraft davonkommen.
Im Internet: www.ecchr.eu

netzpolitik.org ist eine Plattform für digitale Freiheitsrechte. Die Journalisten recherchieren seit vielen Jahren zu Überwachungstechnologien wie Staatstrojanern, sie haben u.a. Verträge von BKA und LKA Berlin mit FinFisher FinSpy veröffentlicht.
Im Internet: www.netzpolitik.org

OVG Münster gibt Klägern aus Jemen Recht: Bundesregierung muss sicherstellen, dass USA in Ramstein Völkerrecht einhalten

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Wegweisendes Urteil zur Rolle Deutschlands im US-Drohnenprogramm

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Münster/Berlin, 19. März 2019 – Im Fall „Bin Ali Jaber gegen Deutschland“ hat das Oberverwaltungsgericht Münster den drei Klägern aus dem Jemen in entscheidenden Punkten Recht gegeben. Deutschland müsse darauf hinwirken, dass die USA bei der Nutzung ihrer Militärbasis Ramstein das Völkerrecht einhalten. Bei diesen Angriffen werden immer wieder Unbeteiligte getötet.

„Deutschland muss endlich das Drohnenprogramm via Ramstein stoppen! Wir hoffen nun, dass nicht mehr Menschen unter den gleichen sinnlosen Angriffen leiden müssen wie meine Familie“, erklärte Faisal bin Ali Jaber, einer der Kläger. Im August 2012 verlor seine Familie zwei Angehörige bei einem Drohnenangriff. Auf der Luftwaffenbasis in Ramstein in Rheinland-Pfalz stehen heute die wichtigsten Funkanlagen für die Steuerung der US-Drohnenangriffe. Deswegen hatten Faisal bin Ali Jaber und zwei weitere Familienmitglieder im Oktober 2014 Klage gegen die Bundesregierung eingereicht. Sie fordern Berlin auf, die Nutzung von Ramstein zu unterbinden. Die Bundesregierung weist jedoch jede Verantwortung zurück.

„Das Urteil des OVG Münster ist ein wichtiger Schritt, um dem völkerrechtswidrigen Drohnenprogramm der USA via Ramstein Einhalt zu gebieten“, sagte Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die US-Drohnenangriffe verstoßen gegen die Menschenrechte. „Die Bundesregierung wird sich jetzt endlich ihrer Mitverantwortung stellen müssen.“

Die Klage zur Rolle Deutschlands im US-Drohnenprogramm ist Teil der rechtlichen Interventionen des ECCHR zu den Menschenrechtsverletzungen der USA im Namen der Terrorismusbekämpfung. Das ECCHR unterstützt gemeinsam mit seiner Partnerorganisation Reprieve die Kläger und ihre Rechtsanwälte. Vor Gericht werden die Kläger vom Rechtsanwalt Sönke Hilbrans aus Berlin vertreten. Beide Organisationen arbeiten seit fast zehn Jahren zu Klagen gegen US-Drohnenangriffe weltweit.